Heistek donnerte den sich langsam windenden Feldweg hoch. Der Sand flog in alle Richtungen. Am Wegesrand lagen die verkohlten Stämme der Bäume, die die Kranichfarm einst hinter einem kleinen Wald verborgen hatten. Das Feuer hatte sich den Wald und somit auch den Schutz geholt. Plötzlich war Dembowski exponiert. Es war sinnlos, sich weiter hier oben an den Grenzen der Zivilisation zu verstecken.
„Die Welt braucht den Ermittler des Jahres“, rief Heistek ihm zu: „Du musst zurückkommen. Alles zerfällt“. In Dembos Hand zerbröselte ein alter Stamm. Dörte saß mit ihrer Gitarre bei den beiden Kranichen. Sie waren über den Sommer geblieben und hörten ihr zu. Koi gründelte durch sein Reich und verscheuchte ein paar aufdringliche Molche, die auf seinem alten Karpfenkörper durchs Wasser reiten wollten. Zärtlich schoss er hinauf und verabschiedete sich mit einer letzten Flosse. Er wusste, dass Dietfried nicht für immer bei ihm bleiben konnte.
Johan Rottenberg nahm noch etwas kalten Tee mit Zitrone. Seinen Ordner verstaute er in seinem alten Army-Rucksack. Er öffnete die Tür seines Hauses an den Zingerwiesen, stieg auf sein Rad, grüßte die Streifenpolizisten am Ehrenmal in Schönholz, dessen Obelisk den nördlichen Rand der Stadt überragte. Hinter dem Gartencenter bog er ab in Richtung Reinickendorf. Zu seiner linken Seite hatten sie den Mauerstreifen mit einigen Neubauten ausgeschmückt, auf der rechten lungerten die Trinker vor dem Discounter. Immer tiefer ging es nun in den alten Westen. Vorbei an dem Branntweinmonopol der Nation, an den großen Dönermanufakturen, die dereinst den europäischen Markt dominiert hatten und alten Rockerclubs. An der Soldiner bog er links ab, kreuzte die Koloniestraße, manövrierte sein Rad durch die Baustellen an der Panke und schoss über die Prinzenallee. Aus der Ferne schon sah er das bierbringende Schild.
Hauke Schill betrachtete das Bild. Sprang aus seinem Bett, streckte sich, ging die paar Stufen hinunter, machte sich eine erste Mampe und öffnete die Tür zu seinem Anwesen.
Was der Prince wusste
Justin Hagenberg-Scholz machte noch einen Schlenker in Richtung Osloer. Die M13 quietschte an ihm vorbei, ein Schild wies den Weg zum Flughafen Tegel. Irgendwann würde es verblassen und dann verschwinden. Ausgelöscht. Wie alles, was jemals existiert hatte. Die Panke hinauf fand er eine Bank. Der mächtige Strom, der einst Berlin speiste, war zu einem Bachlauf verkommen, in dem die Einkaufswagen trieben und die letzten Spatzen der Hauptstadt unbeschwert baden konnten.
Auf der anderen Seite vertrieben sich einige Jugendliche die Zeit mit ihren nunmehr nur noch zur Hälfte gefüllten Kornflaschen. Dembowski setzte sich zu ihm. Reicht ihm einen Smukal und erzählte vom Presslufthammerlärm, von dem er in der Stadt willkommen geheißen worden war. Justin schwieg. Er schloss die Augen, träumte von Venezuela. Erst als eine Hand auf seiner Schulte ruhte, bemerkte er den Prince, der nach seiner Hakiki-Schicht noch einen Abstecher auf die Prinzenallee unternehmen wollt. Das Wandgemälde dort bröckelte mit jeder Hitzenacht mehr. Er wollte sich vergewissern, dass er noch existierte. Schon jetzt hätte das Bild aus einem vergangenen Jahrhundert stammen können. Auch die drei Brüder waren nicht mehr die, die sie auf dem Gemälde vorgaben zu sein. Gut getroffen, der Meinung war er noch immer, hatten sie ohnehin nicht.
Die Rollen der beiden Brüder hatten sich längst umgekehrt. Der Prince war nun der geläuterte Retter, der Junge aus Wilmersdorf das Problemkind. Nur ein paar Meter vom alten Käfig entfernt hatte er Justin auf der Bank sitzend entdeckt und sich direkt an die schicksalshafte Nacht erinnert, die ihn dereinst zurück nach Deutschland gespült hatte. Nach Gelsenkirchen, nicht nach Dortmund. Der vielleicht größte Fehler seiner Karriere, den er in dieser Nacht auf den 1. September 2013 zuallererst dem Team um Chefermittler Dembowski gestanden hatte.
„Der Schalker“, begrüßte Dembowski den alten Prince. „Hör doch auf“, antwortete der: „Ein Irrenhaus!“ Alle Alarmglocken läuteten bei JHS. Irrenhaus gehörte gegancelt, aber Berenice war nicht da, der Prince schon. Eine Diskussion brauchte es jetzt nicht. Sicher nicht mit Dembowski, der den Prince nun in ein Gespräch über NFTs verwickelte. Ihn fragte, ob er so seine Karriere nicht verlängern könnte. Für immer.
„Ich habe noch Hunger“, sagte der Prince und lachte. „Aber das ist doch Quatsch, Dembowski. Noch ein Jahr bei Hertha, noch einmal raus auf den Rasen, zwischendurch ein paar Schichten bei Hakiki und endlich nicht mehr suchen müssen. Ich hab alles gesehen. Das hier ist meine Heimat. Das hier ist unsere Heimat.“ Justin und Dembowski horchten auf. Der Prince las es in seinem Gesicht. Er sagte: „Jerome ist auch müde. Aber ich muss jetzt weiter, Justin. Lars wartet auf mich. Wir machen das jetzt klar.“ Noch bevor sie etwas erwidern konnte, verschwand der Prince durch die Hitzewand „Hat seinen Doktor phil an der Thees-Uni gemacht“, notierte Justin in sein iPad und fügte in Klammern hinzu: „Ich halte es nicht mehr aus.“ In seinem Kopf quälte ihn das Lied von den Lachsen. Dembowski sang es. Das quälte ihn noch viel mehr. Zeit fürs Soldiner Eck. Zeit für den nächsten Smukal.
Darauf einen Smukal
Dembowski stand vor der Tür. Arbeitskleidung. Schwarzer Mantel zu Flip-Flops. Ein Schulle in der Hand, ein Lächeln im Gesicht, im Gespräch mit der Heistek,die ihn mit ihren Worten überhaupt erst zurück ins Eck geholt hatte und der er deswegen mehr als nur dankbar war. Immer wieder mischte sich Johan Rottenberg ein. Er konzipierte gerade das neue Hertha-Stadion. „State of the art“, ließ er verlauten, aber niemand hörte ihm zu, auch nicht, als er JHS seine Forschungsergebnisse zu den Besucherzahlen während der Pandemie präsentieren wollte. Die Band war wieder zusammen. Und auch der DID war schon da. Es gab genug Redebedarf in diesem Sommer 2022, der sich anfühlte wie der letzte Sommer für lange, lange Zeit. Schill verdrückte eine Träne, wie es Menschen machen, die etwas verloren haben und sich noch gegen die Nachricht wehren. Schill drehte die Musik auf elf.
„Schade, dass du weg bist. Ich hätte dir gerne noch öfter zugehört. Die Straßen sind immer noch dieselben, aber der Rest ist ziemlich ramponiert“, sang Brezel Göring und jeder für sich erinnerte sich an die Tage, an denen Miriam Wu an ihrer Seite gekämpft hatte. Ein Sommerhauch trug die Töne die schon seit Ewigkeiten ramponierte Soldiner sanft in Richtung Mauer und weit darüberhinaus. Noch ein letztes Mal dachten sie gemeinsam an die Internationalisierungsikone, die nicht mehr war und nie mehr sein würde.
„Alles wird verschwinden“, sagte Dembowski einen letzten Schluck Schulle nehmend. „Aber noch sind wir da.“ Und das, machen wir uns nichts vor, war mehr als die Welt sich nach diesem langen Jahr der Abwesenheit des DIDs erhoffen konnte. Noch ein Schluck. Und noch einer. Dann The Beautiful South. Old Red Eyes Is Back. Was haben wir ihn vermisst.
Das große DID-Interview
Hallo, Herr Dembowski!
Was wollen Sie denn schon wieder?
Sie haben die alte Bande wieder zusammengetrommelt. Wieso?
Es war die Heistek. Aber klar: EM-Finale. Das Fest der Feste. Wir müssen es anschauen, für Deutschland und für den Fußball.
Sie schauen nicht Hertha gegen Braunschweig?
Beides. Schill schmeißt für die echten Fans vorne das Finale an und hinten analysieren wir die neuesten Entwicklungen in der Berliner Fußballszene. Ein Traum. Endlich geht es wieder los.
Dabei sah es lange nicht danach aus.
Das stimmt. Der Fußball ist in Gefahr. Genau genommen ja nur der BVB. Aber der ist ja das Spiel. Sah man die Tage erst wieder. Als die Rückkehr der Stehplätze auf internationaler Ebene verkündet wurde, sahen wir überall nur die Bilder vom glorreichen Ballspielverein. Und dort fehlt nur wenige Stunden vor Saisonbeginn nicht nur ein zentraler Stürmer, sondern auch ein Head Scout.
Markus Pilawa wurde vom BVB mit sofortiger Wirkung freigestellt und wird sich dem FC Bayern München, dem ewigen Meister anschließen.
Exakt. Auch deswegen sind wir wieder da. Ist JHS wieder da. Er wurde beauftragt, die Zwischenlösung für Haller zu finden. Er ist der Mann der Daten, ich stehe für das Herz. Daran hat sich nichts geändert. Borussia Dortmund steckt in einer misslichen Lage. Da brauchen wir überhaupt nicht um den heißen Brei herumreden. Sie haben ihr Geld in einen Spieler investiert, der plötzlich nicht mehr Spieler, sondern in erster Linie ein erkrankter Mensch ist. Der BVB muss ihm eine Zukunft bieten und sich selbst für die Gegenwart absichern. Da geht es um mehr als nur einen Ersatz auf der 9, da gilt es so viel zu bedenken.
Sie reden zu viel, Herr Dembowski. Wir wollen wissen, was Ihre Analyse ergeben hat.
Es könnte auf Jhon Córdoba hinauslaufen. Der Stürmer, der so lange schon Kandidat für eine der Spitzenmannschaften dieser Welt ist und dem, das zeigen eben die Daten, mit seiner Wucht für den Posten des Publikumslieblings geschaffen ist. Er ist kein eiskalter Torjäger, sondern einer, der ackert, der Räume schafft, der durch seine Irrläufe den Weg für die Außenspieler freischaufelt. Aber er ist nicht der einzige Spieler auf der Liste, die jetzt leider in falsche Hände geraten sein könnte.
Was meinen Sie damit?
Dass wir es hier auch mit einem Fall von Wirtschaftskriminalität zu tun haben könnten. Betriebsgeheimnisse, die keine mehr sind, weil der Geheimnisträger sie an anderer Stelle gegen seinen alten Arbeitgeber einsetzen wird.
Sie spielen auf den abgewanderten Scout an?
Dazu werde ich mich nicht äußern. Fakt ist: Wir arbeiten an einem Nachfolger für Haller und natürlich werde ich auch meine guten Kontakte ins Mutterland des Fußballs ausspielen.
CR7 zur Borussia?
CR7 will spielen, will seinen Vertrag auflösen und noch einmal die große Liebe spüren. Er will mit einem Ausrufezeichen abtreten und Geld, darüber müssen wir nicht reden, spielt für ihn keine Rolle mehr. Er wäre ein Gewinn für die Bundesliga. Aber die Daten zeigen nichts mehr. Sie sind leer. Ich würde nicht auf ihn wetten, sondern vielmehr ins Westend schauen. Dort ist die eingebaute Torgarantie fürs Derby unter Vertrag. Noch. Für Piatek ist es die letzte Chance im großen Fußball. Und er weiß, was er als Pole am BVB hat. Dortmund war im vergangenen Jahrzehnt der Ausgangspunkt der großen polnischen Bundesliga-Revolution. Nicht nur mit Lewandowski, sondern vielmehr auch mit Piszczek und Kuba, den beiden demütigen Legenden der Meisterjahre. Sie werden sehen, was passiert. Wir wissen es bereits.
Also wird es nicht, wie einige Fans scherzhaft behaupten, Alex „Poppi“ Popp, die als Königin von England aktuell für Furore sorgt, den Fußball der Frauen auf ein neues Level geschossen hat und Deutschland bereits heute zum Titel tragen wird?
Sie jetzt auch?
Sind Sie ein Feind des Fußballs der Frauen, Herr Dembowski?
Wieso fragen Sie das?
Weil Sie abwertend über Alex Popp reden.
Maximal über ihren Musikgeschmack und ihren Humor. Das verstehe ich alles nicht mehr. Aber ich habe doch gar nicht angefangen.
Sie können aber doch nicht verleugnen, dass der Sommer 2022 einer der Frauen ist.
Das habe ich mit keinem Wort gesagt. Deswegen haben wir uns doch heute hier versammelt. Aber wissen Sie was? Mich schreckt der Hype um das Turnier ab. Ich empfinde es als anmaßend, wie mir vorgeschrieben wird, was die Konsequenz daraus sein muss. Es soll ein vollkommen wilder, neuer Fußball geschaffen werden, der sich nicht um 50+1 kümmert, der familienfreundlich bis hin zur Klatschpappe ist und der bedingungslos unterstützt werden soll. Aber Fußball war nie das, was wir auf dem Platz sehen, sondern vielmehr das, was über Jahrzehnte drumherum gewachsen ist.
Sie reden von dem leeren Versprechen „Bratwurst, Bier, Borussia“? Oder reden Sie vom Gigantismus einer Branche, die dermaßen entkoppelt von der Realität ist, dass ihr Menschenrechte so egal sind …
… Wenn ich Sie hier kurz unterbrechen darf?
Was ist eigentlich mit dem DID passiert?
Worum es mir geht: Es ist etwas gewachsen. Über Jahrzehnte. Es ist doch egal, was da gewachsen ist. Es ist gewachsen. Und es bewegt die Menschen immer noch. Ob es sie jetzt abstößt, ob es ihnen nicht passt. Es bewegt sie. Weil es die letzte Form der Unterhaltung ist, die sie zusammenbringt. Danach wird nichts mehr kommen. Und was jetzt hier versucht wird, ist doch absurd. Es soll dem Frauenfußball, dem Fußball der Frauen, wie Sie es nennen, etwas übergestülpt werden, was überall unentwegt kritisiert wird. Es soll der gleiche Kommerzkram etabliert werden, nur ohne die historisch gewachsenen Strukturen. Das wird nicht funktionieren.
Aber wie soll der Fußball der Frauen dann jemals die Bedeutung erlangen, die er verdient. Diese Leistungen sind doch wunderbar.
Es gibt viele wunderbare Leistungen und wir sollten uns daran erfreuen, dass es auf Turnierebene so gut funktioniert und dass es auch in der Champions League so überragend klappt. Hier ist eine Idee für Sie.
Oha!
Wieso überspringen wir nicht alle Stufen und gehen gleich an die Stellen, die im Fußball als das letzte Tabu gelten. Wieso ziehen wir das System nicht von oben auf? Wieso also setzten wir nicht direkt die Super League auf die Pyramide, die ja noch im Entstehen ist. Das wäre die vermarktbare Lösung, die wahrscheinlich sogar neue Zuschauer ziehen würde. Darunter könnten die anderen, die nationalen Ligen existieren. Aber so würden wir Europa als Europa begreifen, das amerikanische Modell anwenden und neue Märkte öffnen. Das aber will dann auch wieder niemand. Und den Prozess über die nächsten 10, 20 Jahre begleiten? Wer will das? Wer erträgt die Empörung, wenn der Schnitt in der Bundesliga dann doch wieder bei 1500 Zuschauern dümpelt? Ziehen wir es gleich groß auf, dann klappt es auch.
Revolutionär, Herr Dembowski.
Klar. Ich war lange genug weg, um den Fußball neu zu erfinden.
Ein Wort zur Hertha?
Jerome kommt. Die Zukunft gehört Berlin. Gerade mit Bernstein. Er gibt Hertha das Herz zurück.
Sie sagen Berlin. Gehört die Zukunft auch Union?
Die machen halt ihre Hausaufgaben. Solide. Und jetzt Europapokal in der Alten Försterei. Schade, dass es der Schotte nicht mehr erleben wollte.
Was sagen Sie zu Bayerns Transferoffensive?
Panik. Sie verlieren in Europa den Anschluss. Einen konkreten Plan kann ich nicht erkennen.
Sie haben 5:3 in Leipzig gewonnen.
Beim Kirmescup. Wer daraus Schlüsse zieht, sieht den BVB nach dem 3:0 in München auch auf Meisterkurs.
Was erwarten Sie vom BVB?
Nichts. Der magische Ballspielverein wird die Fans gewinnen müssen, nicht mit Titeln, sondern als Verein, der sich über seine Leidenschaft definiert, Rückschläge hinnimmt und in diesen Momenten Mentalität beweist.
Sie klingen hohl wie Malte Dürr.
Auch der liegt nicht immer falsch.
Was ist mit dem Power Ranking?
Ach, keine Ahnung.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Dafür nicht.
Ein wunderbarer Text, ein erhellendes Gespräch. Ich habe jeden einzelnen Buchstaben gerne und mit Gewinn gelesen.