Es ist das Ende eines drückend heißen Sommers, in der Luft liegt der noch süße, bald beißende Geruch der in der Sonne faulenden Äpfel. Dietfried Dembowski sitzt mit Hauke Schill, Miriam Wu, Justin Hagenberg-Scholz im Soldiner Eck. Auf dem Tisch stehen Schultheiss, Aschenbecher, Buletten und KiBa für den Datenspezialisten.
Das Gespräch plätschert dahin, da zieht vor der Kneipentür ein Sturm auf. Es wird dunkler, auf dem Friedhof biegen sich die Bäume. Der Regen knallt auf die Straße. Sintflut. Ein Fahrradfahrer stürzt. Zu viel Wasser, zu wenig Kontrolle. Der Ermittler schaut mit wohligem Lächeln hinaus. „Das ist doch herrlich.“
Regen. Sturm. Die Flucht in die Dunkelheit. Die Suche nach dem Licht auf der anderen Seite. Darum geht es.
Das Soldiner Eck, diese unscheinbare Eckkneipe im Berliner Gesundbrunnen-Bezirk, ist in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Zentrum einer neuen Fußball-Denkschule geworden – und Dembowski zu ihrem wohl einflussreichsten Stichwortgeber und Strategen. Von hier aus arbeitet er daran, die letzten Fragmente der Wahrheit zu erhalten.
Trafen sich die DID-Köpfe in den letzten Jahren noch regelmäßig im Soldiner Eck, so lebten sie in den vergangenen Monaten verstreut in alle Himmelsrichtungen. Doch heute wollen sie das ändern. Bald werden die Kraniche wieder über die Häuser ziehen, und ihr „Kru Kra“ wird den nahenden Winter einläuten.
„Es gibt keinen Frühling mehr, es gibt keinen Herbst mehr“, sagt Dembowski. „Es gibt nur Licht und Dunkelheit.“
Dembowski is all dressed in black. „Und es ist dunkel da draußen. Auch wenn ihr das nicht seht“, spricht der Ermittler und legt seine Hand auf sein Herz. „Und es ist dunkel da drinnen. Erst wenn die Dunkelheit sich nicht mehr vereint, werden wir sie nicht mehr sehen.“
Der Mann, dessen Johnny-Cash-Pose lächerliche Züge annimmt, scheut konkrete Worte. Er ergeht sich in Andeutungen. Er bleibt wenig konkret. Lässt die Türen offen, so als ob er auf einen Lichtstrahl hoffe. Doch für ihn ist da nur Dunkelheit.
Wohin Dembowski auch schaut, welche Tür er auch öffnet: Überall giert der schwarze Sog des Untergangs nach Aufmerksamkeit.
„Ich bin der Überlauf“, sagt Dembowski. Die Dunkelheit sammelt sich hinter den Türen – erst wenn die Räume vollgelaufen sind, quillt sie hervor. „Dann muss sie raus.“
Justin Hagenberg-Scholz, der Datenspezialist, steht nun am anderen Ende des Kneipenraums. Sein Werkzeug vor ihm, auf einem kleinen Tisch neben dem Tresen. Der KiBa-Liebhaber hat den Fußball berechenbarer gemacht. Sein Wort gilt. Nicht hier. Aber da draußen in der Welt der Biermanns, Knutsons, Benhams, Misslintats und denen, die wissen, dass ein Spiel schon lange nicht mehr nur auf dem Platz entschieden ist.
„Die Daten leuchten“, sagt Hagenberg-Scholz. „Meine Modelle sind ein Weg, vielleicht der Weg auf die andere Seite. Es ist ein dunkler Weg. Aber wir müssen den Fußball umdeuten. Wir müssen ihn der Masse entziehen, um ihn für die Masse attraktiv zu halten.“
Gemeinsam mit seiner Frau Berenice Hagenberg-Scholz hatte sich der Datenspezialist in den vergangenen Monaten vornehmlich in Kathlow verbracht. Im Sommer hatte er über dem Südrandschlauch seine Drohnen fliegen lassen. Manchmal war er nach Cottbus gereist. Doch dort marschierte die Bewegung nun beinahe täglich. Mit ihrer Hündin Dimat waren sie zurück in den Gesundbrunnen.
„Berenice hatte Angst“, sagt Justin, von seinen Freunden nur JHS genannt. „Ich kann von meinen Analysen mittlerweile leben. Im Ausland bin ich ein gefragter Experte. Und dann sind da noch die Drohnenrennen.“
Die Zukunft gehört Berlin, sagt man und denkt nicht, wer so ohne sie ist. Glaubt man JHS, gehört die Region um Cottbus dazu. „All meine Modelle haben da versagt“, erklärt der Datenwizzard. „Die Gesellschaft lässt sich nicht mit einem Fußballspiel vergleichen, wir können den Wandel nur nachträglich abbilden. Unsere Methoden haben versagt.“
„Das ist die Dunkelheit, die durch die Tür bricht“, ruft der Ermittler. „Wir können sie nicht schließen.“
Miriam Wu schweigt. Als Internationalisierungsexpertin angetreten, musste sie zu viele Rückschläge hinnehmen. JHS hatte ihr den Zusammenbruch der deutschen Nationalmannschaft schon anhand seiner Modelle aufzeigen können, da waren die Bilder, die Özil und Gündogan mit Erdogan noch Monate entfernt.
JHS hatte Wu gezeigt, dass der deutsche Fußball nicht von einem Reboot, nicht von einem Vorsprung durch Technik, sondern nur von einer goldenen Generation profitiert hatte. Und Wu hatte verstanden. Zuerst war die Liga kollabiert, dann hatten sich die Fans gegen den Verband gerichtet und, weil sie es nicht verstanden hatten und daher im Rennen um die besten Liga der Welt befanden, hatten Liga und Verband Spieler und Köpfe in Richtung England verabschieden müssen.
„Der deutsche Fußball hat sich verzettelt“, sagt Wu. „Er hat an zu vielen Fronten gleichzeitig gekämpft. Er hat sich weit vorne gesehen. Das Champions League-Finale 2013, der WM-Triumph 2014. Auf einmal ging es nur noch darum, vergangene sportliche Erfolge zu monetarisieren, ohne aber sicherzustellen, dass kommende Generationen davon profitieren können. Man ist den anderen Ligen hinterhergerannt. Denn plötzlich gab es da die Big 5. Die Global Player. Die, die den Vereinsfußball globalisieren. Für dieses Rennen haben sie alles aufgegeben, sogar ihre Würde.“
Wu spricht über die Zurückweisung, die die Liga in China erlebt hat, sie redet über eine vollkommen unangemessene, selbstherrliche Außendarstellung, die nicht mehr Maß halten kann. „Das ist Propaganda“, sagt sie. „Diese Erkenntnis hat mich Monate meines Lebens gekostet.
„Das ist die Dunkelheit, die durch die Tür bricht. Wir haben es kommen sehen“, ruft der Ermittler. „Wir können sie nicht mehr schließen. Wir haben gewarnt. Doch sie haben nur gelacht.“
In den vergangenen Monaten stritt der DID über die nächsten Schritte. Wu forderte mehr Provokationen. „Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Das ist der Weg in die Öffentlichkeit. Wir müssen Themen setzen. Das können wir nur, indem wir extreme Positionen vertreten. Wir müssen in die Konfrontation suchen.“
JHS wünschte sich mehr Daten. „Big Data, für die Masse runtergebrochen von unseren fähigsten Schreibern. Das reicht nicht nur für den einen oder anderen Lesebefehl, sondern, mit den richtigen Mitteln, ist das auch der entscheidende Schritt in die Öffentlichkeit. Analysen statt Ausraster. Eine positive Kommunikation. Das war meine Idee.“
Erst mit JHS und Wu, die sich beide im Jahr 2015, dem DID anschlossen, wurde der DID zu der Denkschule, die wir heute vor Augen haben, wenn wir das unscheinbare Logo erspähen.
Bereits Jahre vorher machte Dietfried Dembowski erstmals Schlagzeilen. Im Sommer 2013 transferierte sein damaliges Schlachtschiff „DerSamstag!“ Mesut Özil zum BVB. Als Kagawa ein Jahr später an die B1 zurückkehrte, sah der Ermittler das Ende von Jürgen Klopp kommen. Ein paar Tage vor seinem Rücktritt berichtete er vom bevorstehenden Unheil. „Die Dunkelheit“, sagt er, und dass er habe kommen sehen. „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht,“ lacht Dembowski gequält.
„Ich habe Fake News gemacht, bevor es die Leute kannten. Ich habe gemahnt, als die Leute noch eine goldene Zukunft sahen. Ich habe dann mit JHS einen Datenspezialisten an Bord geholt, als dem Ergebnisse noch relevant waren. Jetzt, da die Ergebnisse dank der neuen Machtverhältnisse zementiert sind, giert die Öffentlichkeit nach Daten, um sich eine neue Realität zu schaffen, die eigentliche gibt ja nichts mehr her. Alle Dramen sind erzählt.“
„Sogar Hamburg ist abgestiegen“, ergänzt Hauke Schill, Wirt und Hamburg-Fan.
„Ja. Auch die sind runter, Hauke“, sagt Dembowski, lenkt das Gespräch aber zurück auf den DID.
„Was wir jetzt machen können? Mit Provokationen wird uns das nicht gelingen, mit Daten auch nicht. Wir haben es probiert.“
Seit 2015 gibt der DID das wöchentliche DID POWER RANKING heraus. Es bildet die Leistungsstärke der 98 besten Teams Europas ab. „Eine Spielerei“, sagt JHS. „Ein Abfallprodukt meiner Analysen.“
„Die Zukunft“, sagt Miriam Wu.
„Fußball“, ergänzt Dembowski, „hat die Kraft Europa zu einen. Die Champions League kennt keine Grenzen, das DID POWER RANKING auch nicht. Wir wollen Fußball europäisch denken. Wir kennen keine Grenzen. “
„Aber dafür müssen wir uns wieder respektieren“, ergänzt Wu. „Wir haben den Respekt voreinander verloren.“
JHS sagt: „Wir haben einen Weg gefunden.“
Langsam füllt sich das Soldiner Eck. Schill hat für den Abend ein kleines Fest vorbereitet. Eine Band probt auf der kleinen Bühne im Nebenraum. Der Sturm legt sich.
„Noch einmal zusammenkommen. Sich vergewissern, dass wir noch da sind“, sagt Schill. „Es wird ein kalter Winter. Wir werden Kraft brauchen. Wir müssen uns wärmen.“
Zusammensein. Wärme. Wahrheit. Verständnis. Respekt. Farbiges Licht. Darum geht es jetzt.
Über der Soldiner Straße geht die Sonne unter. Der Ruf der Kraniche hallt bis an die Theke. „Veränderung“, sagt Dembowski und trinkt ein Schulle. Unter seinem schwarzen Hemd schimmert es rot. Das Konzert beginnt.