Das Jahr begann mit einem Hoch auf uns. Live in der ARD. Am Brandenburger Tor stiegen die Raketen auf. Im Soldiner Kiez flogen sie gegen Häuserwände. Im Eck saßen zwei Menschen an der Theke. Sie blickten auf den Fernseher.

„Denen fällt auch nichts mehr ein“, sagte Dembowski. Schill schwieg.

„Jedes Jahr die gleiche Scheiße! Ich kann das nicht mehr hören“

Die Nacht war unerwartet kalt.

Noch zu Weihnachten war der Ermittler kurzärmlig über die Lamafarm geschritten, hatte mal hier und mal dort gehalten.

Koi ging es gut. Dörte sowieso. Sie begleitete Dembowski, zeigte ihm die neuen Stallungen, in denen die zwei neugeborenen Lamas ihre ersten Lebenswochen verbrachten. Manchmal saßen sie, wenn es dunkel wurde, noch auf der Veranda. Sie spielten Gitarre, sangen und schauten den Sternen zu. Hier draußen sahen sie anders aus.

„Denen fällt auch nichts mehr ein“, sagte also Dembowski, und Schill schwieg, und beide leerten ihre Flaschen. „Ich hol uns noch ne Batterie“, sagte Schill und verschwand. Miriam Wu war über die Feiertage zurück in den Norden. Hagenberg-Scholz verbrachte die Tage mit Berenice. Begeistert war er davon nicht.

In der Kneipe sprach niemand mehr. Die Raketen flogen weiter gegen die heruntergelassenen Rollläden. Böller explodierten. Einmal traute sich Schill vor die Tür. Er kam postwendend zurück. Diese Nacht war nicht für sie gemacht. Alexandra sang: „Hab ich in deinem Arm geweint, strichst Du Deinen grünen Blättern mir übers Haar, mein alter Freund.“ Die Jukebox war einfach weitergelaufen.

„War ein gutes Jahr“, sagte Schill.

„Die Wu. Das hätte ich nicht gedacht“, antwortete Dembowski.

„Mir ist dieser Titel wirklich egal. Mir ist alles egal. Geworden. Zumindest in letzter Zeit. Deswegen war es ein gutes Jahr.“

„Sach mal. Ihr fliegt doch jetzt nach Dubai? Trainingslager.“

„Das machen jetzt alle. Das ist Teil der Internationalisierung, sagen sie uns. Justin fliegt rüber. Der hat ja noch diesen Gig bei 360. Keine Ahnung, was die an dem Spinner gefressen haben.“

„Aber so wegen Menschenrechte?“

Auf Alexandra folgte Wader. Recklinghausen. Volksfest. 1977. Die Moorsoldaten. Der Saal brüllt „nicht mehr.“

„Eine Utopie“, sagte Dembowski. „Alles dreht sich in Kreisen, in immer schnelleren Kreisen. Immer wird jemand mit dem Spaten ins Moor ziehen. Das wird sich nicht ändern. Es ist nur nicht mehr in unserem Blickfeld.“

Die Live-Übertragung in der ARD trudelte aus.

Dembowski und Schill tranken noch ein Schultheiss.

„Schon gehört. Der Prince ist jetzt wieder in Mailand?“

„Wäre doch auch einer für den HSV gewesen, Hauke!“

„Wir sind pleite. Schon wieder. Aber Bruno bleibt. Das steht fest.“

„Für den Prince freut es mich. Lange nicht mehr gesehen. Glaub auf der Kagawa-Tour damals. Das war noch 2014.“

„Ja. Es war ein gutes Jahr.“

Nach Neujahr nahmen die Bundesligisten die Vorbereitung für die zweite Hälfte der Saison auf. Hagenberg-Scholz und Wu kehrten wieder im Soldiner Eck ein. Ferundula reiste durch Deutschland. Hagenberg-Scholz verschwand in Richtung Dubai.

„Endlich diesen einen Deal machen“, sagte Ferundula einmal am Telefon, und Justin Hagenberg-Scholz freute sich auf die Urlaubsatmosphäre. „Halb Europa ist da, und ich darf dort arbeiten.“

Gemeinsam gaben sie nun den DID raus. Sie waren Experten auf ihren Gebieten, und wenn sie mal nicht Experten waren, dann kannten sie andere Experten. Das würde schon laufen. Wenngleich Dörte nicht sonderlich begeistert war. „Was ist das jetzt schon wieder?“, fragte sie, doch sie war zu leise.

Stille.

Das wäre Anfang 2016 wichtig gewesen.

Der erste Schnee fiel, doch noch bevor er geschmolzen war, eskalierte die Lage in Deutschland.

In Köln war es aus einer Gruppe heraus zu Übergriffen gekommen. Gegen Frauen. Von, wie berichtet wurde, Ausländern, Migranten, Flüchtlingen. Menschen fremdländischer Herkunft. Kluge Menschen schrieben in der Folge kluge Worte, weniger kluge Menschen schrieben auch Worte. Jeder wusste etwas. Es gab verschiedene Lösungsmöglichkeiten.

Es war die Zeit der Bürgerwehren. Irgendwer müsse dieses Land verteidigen, sagten sie. „Merkel muss weg“, schrien sie nun, und schützten ihr Land.

Darüber schrieben weniger Menschen kluge Worte.

Die Bundesliga bereitete sich am Golf auf die zweite Saisonhälfte vor. Bayern hielt in Katar die Augen auf, Dortmund zahlte in Dubai und Frankfurt erkundigte sich in Abu Dhabi nach eventuellen Menschenrechtsverletzungen.

Viele Fußball-Fans hatten dazu eine Meinung. Politiker auch.

Die Vereine hatten eine andere Meinung.

Schill und Dembowski saßen an der Theke. Es war der 11.1.2016. Der Fernseher lief. RBB. 25 Jahre Gesamtparlament. In der Nikolaikirche wurde gesungen. „Ein Hoch auf uns, auf dieses Leben!“